Kulturelle Selbstinterpretationen aufzudecken und sich mit anderen Denkerfahrungen auseinandersetzen - wichtige Kennzeichen interkultureller Erziehung - werden von ErziehungswissenschaftlerInnen oft als Voraussetzung für das hehre Ziel der "Autonomie im Denken" genannt. Der Berliner Bildungskongreß "Leben und Lernen in der Einen Welt" aus dem Jahr 1992 nennt als zentrales Erziehungsziel im Rahmen des Lernens für die Eine Welt "die Fähigkeit zum Zusammenleben mit Fremden als gleichgeachteten Menschen. Die Erziehung zur Achtung der Menschenrechte bedeutet in der alltäglichen Unterrichts- und Lebenspraxis, mit Unterschieden zu leben und als Menschen mit unterschiedlichen Aussehen und Verhalten, unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen und mit unterschiedlicher Sprache voneinander zu lernen." Horst Siebert spinnt diese Gedanken noch weiter und definiert Bildung "als Einheit von Selbstverständnis, Fremdverstehen und Weltverständnis."
"Interkulturelles Lernen setzt die Reflexion eigener, selbstverständlich gewordener Wert- und Bezugssysteme voraus, den Zwang zur Akkomodation und Assimilation der kulturfremden Umwelt, das Ertragen von Unsicherheit, den Zwang zur Um- und Neuorientierung und die Bereitschaft und Fähigkeit zur Interaktion mit einer andersartigen sozialen Umwelt." Die kurze Formel "Fremdes wahrnehmen - Eigenes entdecken" kann als Paradigma des interkulturellen Lernens verstanden werden, wobei Fragen wie "Wie verändern kulturfremde Erfahrungen eigene kulturelle Muster von Wahrnehmung, Problemlösung, Denken, Selbstkonzeption, Verhaltensmuster und Bezugssystemen - lang- oder kurzfristig?" noch verstärkten Forschungen bedürfen. …